Direkte Frage an Dich, lieber Leser: Wie würdest Du reagieren, wenn Dein Haus oder Deine Wohnung brennt? Du würdest vermutlich denken: „Ich befinde mich in einem Gebäude, in dem es brennt. Wird höchste Zeit, etwas zu unternehmen.“ Was ist diesem Gedanken vorausgegangen? Ganz genau: Die Akzeptanz, dass ein Problem vorherrscht. Das widerstandslose ANNEHMEN der gegenwärtigen Situation – ob sie Dir nun passt oder nicht. Erst, wenn dieser erste Schritt vollzogen wurde, kannst Du die Situation meistern. Im Klartext: Je mehr wir uns unserer Lebenslage stellen, desto besser können wir mit ihr fertig werden. Versuche Dir dieses Beispiel mit der brennenden Wohnung bildlich vorzustellen und Du wirst mir zustimmen.
„Mit der Wahrheit fährt man IMMER besser, auch wenn sie anfangs weh tun sollte.“
Ich erkannte damals die Tatsachen in meinem Leben, war ehrlich zu mir selbst und gestand mir ein: „Ja, ich habe ein Problem.“ Ich stellte mich nicht blind und gewann dadurch an Integrität. Denn alles, was sich im Leben zeigt, ist ein FAKTUM, eine Tatsache, die Wahrheit, sonst wäre es nicht da. Man könnte es auch so formulieren: Das Leben hat IMMER recht, sei die gegenwärtige Lebenssituation, wie sie ist. Wenn wir mit dem Leben kollidieren, dann sollten wir stehen bleiben, uns die Situation ansehen, uns klar machen, dass wir etwas ändern können (entweder die Situation oder unsere Einstellung dazu), dann dazu übergehen, unseren bisherigen Kurs zu ändern und andere Wege auszuprobieren, aber ganz sicher sollten wir uns nicht mit dem Leben anlegen. Die Einstellung „Ich lehne es ab, dass es jetzt so ist, wie es gerade ist“, ist eine Kriegserklärung an die Wirklichkeit, wir machen uns damit das Leben selbst zum Feind. Warum gegen das Leben kämpfen, wo wir doch die besten Freunde sein können?
„Wenn wir uns mit der Realität anlegen, verlieren wir zu 100%.“ (Byron Katie)
Viele Menschen verwechseln das Annehmen von unschönen Erlebnissen mit Gutheißen bzw. damit, dass man den JETZT-Zustand als schön empfinden und ihn für immer und ewig festhalten soll. Davon ist hier nicht die Rede. Bereits Goethe erklärte in seinem Werk „Faust“, dass Festhalten nichts Gutes bedeutet. Was ich meine, ist einfach den JETZT-Zustand emotional zu akzeptieren, ihn zu fühlen und sich selbst zu erlauben, ihn nicht abzulehnen. Annehmen bedeutet die inneren Widerstände aufzugeben, so dass man wieder freier atmen kann. Und genau darum geht es im Leben: In Harmonie mit dem Fluss des Lebens zu sein (nicht zu verwechseln mit dem „Fluss der Gesellschaft“). Wollen wir aber auf Biegen und Brechen etwas verändern, mit Gewalt etwas erzwingen, und das aus einer Notsituation heraus, erzeugen wir automatisch Disharmonie in uns. Dann fließen wir nicht mit dem Leben, nein, ganz im Gegenteil, wir schwimmen dann gegen den Strom des Lebens und ignorieren die Ursachen für die Entstehung der Krise, die uns gerade so zu schaffen macht.
„Unglück wird zum Glück, wenn man es bejaht.“ (Hermann Hesse) –
(nicht zu verwechseln mit gutheißen).
Nehmen wir an, dass Du gerade das Haus verlassen willst und es just in diesem Augenblick anfängt zu regnen. Du magst Dich darüber nicht freuen, aber Du kannst die Situation annehmen und Dich darauf einstellen. Wenn wir Zahnschmerzen haben oder draußen Glatteis ist, bringt es auch herzlich wenig, dagegen anzukämpfen. Ebenso wenig, wenn uns ein Stein im Schuh drückt. Was bringt es, wenn man den ganzen Tag darüber sauer ist und sich davon runter ziehen lässt? Das macht uns nur unsere positive Stimmung kaputt. Das Wort „positiv“ stammt übrigens aus dem Lateinischen und bedeutet übersetzt „das, was ist“. Demzufolge ist es also ein Schritt in die richtige Richtung, wenn wir „das, was ist“ vorbehaltlos annehmen. Damit meine ich: Nicht urteilen, nicht analysieren, nicht rechtfertigen, nicht bewerten, nicht erklären, nicht rationalisieren, nicht unterdrücken und auch nicht wegdrücken – sondern nur ANNEHMEN, so wie man das Wetter annimmt. Aber nicht mit dem Gedanken: „Ich MUSS das erst annehmen, so wie es in diesem Blog-Text steht, damit ich mich davon befreien kann.“ Dies wäre kein aus dem Herzen kommendes Annehmen, es wäre nur ein Mittel zum Zweck, ein Selbstbetrug. Tun wir es authentisch, damit wir eine Kollision mit dem Leben vermeiden.
Ein Kriegsschiff befand sich auf offener See. Die See war unruhig und Nebelschwaden erschwerten die Sicht. Kurz nach Anbruch der Dunkelheit meldete der Ausguck: „Licht Steuerbord voraus!“ „Bleibt es stehen, oder bewegt es sich achteraus?“ fragte der Kapitän. Der Ausguck antwortete: „Es bleibt stehen, Kapitän.“ Das Schiff befand sich also auf einem gefährlichen Kollisionskurs mit dem anderen Schiff. Da rief der Kapitän: „Schicken sie dem Schiff ein Signal: Wir sind auf Kollisionskurs, empfehlen 20 Grad Kursänderung.“ Als Antwort kam aber, dass man den Kurs nicht ändern werde. Der Kapitän wurde zornig und sagte in strengem Ton: „Melden sie: Ich bin ein Kapitän, Kurs sofort um 20 Grad ändern. Das ist ein Befehl!“ Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: „Ich bin nur ein Unteroffizier. Es wäre aber besser für sie, Ihren Kurs um 20 Grad zu ändern.“ Inzwischen war der Kapitän noch wütender geworden. Er schimpfte: „Himmelarsch und Donnerwetter! Signalisieren Sie diesem Idioten, dass ich ein Kriegsschiff bin. Er soll den Kurs augenblicklich um 20 Grad ändern. Wenn nicht, dann wird das überaus ernste Konsequenzen haben!“ Prompt wurde eine Antwort zurückgeblinkt: „Ich kann meinen Kurs nicht ändern. Ich bin ein Leuchtturm.“ Das Kriegsschiff änderte den Kurs.
WIR sind das Schiff und unsere Krise ist in diesem Fall der Leuchtturm. Der Leuchtturm IST nachweislich da und wir sollten ihn als Wahrheit annehmen. Verleugnen bringt da gar nichts, denn das führt nur dazu, mit der Realität zusammenzuprallen.
„Tatsachen hören nicht dadurch auf zu existieren, indem man sie ignoriert.“ (Aldous Huxley)
Wenn Du Herrn Huxley und mir nicht glaubst, dann nimm einen großen, weißen Karton, schreib mit einem schwarzen Stift groß „Problem“ drauf, stell ihn auf eine Kommode und dann verlasse Deine Wohnung. Wenn Du ein paar Stunden später wieder heim kommst, wirst Du feststellen, dass das „Problem“ immer noch da ist. Um es aufzulösen, darfst Du nicht vor ihm weglaufen, sondern musst Dich damit befassen, Dich aufs Problem einlassen, in das Thema eintauchen. Anders geht es nicht.
Es war einmal ein Mann, der Angst vor seinem Schatten und vor dem Klang seiner Schritte hatte. Also beschloss er, beides loszuwerden, indem er vor ihnen wegrannte. Doch so schnell er auch lief, sein Schatten und der Klang seiner Schritte folgten ihm. Also lief der Mann immer schneller und schneller, bis er schließlich vor Erschöpfung tot umfiel. Es kam dem Mann leider nie in den Sinn, dass sein Schatten verschwinden würde, wenn er nur in den Schatten ginge, und dass er keine Schritte mehr vernehmen würde, wenn er sich nur hinsetzte und still bliebe. (Tschuang-tse)
Gehen wir in den Schatten rein (ins Problem), verschwindet der Schatten (können wir unsere Probleme lösen). Der „Krisenschmerz“ entsteht ja gerade durch unseren Widerstand gegen die JETZT-Situation, weil unser Fokus dabei immerzu auf das Problem gerichtet ist, wir andere Erwartungen haben und nicht im Hier und Jetzt sind. Widerstand erhält die Dinge, anstatt sie loszuwerden. Alle Belastungen innerhalb einer Krise werden gespeist durch sie.
„Fast jeder stirbt als Bankrotteur, was seine Erwartungen angeht. Nur wer das Loslassen praktiziert, fühlt sich durch nichts betrogen. Er nimmt alles, was ihm begegnet, glücklich und freudig an, und wenn sich die Dinge ändern, lässt er die Änderung zu, ohne sie durch Widerstände zu behindern.“ (Osho)
Seien wir „widerstandsloser“, wenn wir wieder einmal mit dem Leben kollidieren. Wenn ich z.B. eine Grippe bekomme, nehme ich keine Medikamente, allenfalls homöopathische Mittel, Bachblüten, Geistheilung oder eine Kombination von allem, und ziehe mich stattdessen in mein warmes, kuscheliges Bett zurück. Ich nehme die Erkältung als eine Art „jährliche Selbstreinigung“ an, die mein Immunsystem stärkt. Zudem tut mir die Ruhe im Bett gut, weil ich in dieser Phase auf mich selbst zurückgeworfen werde und Zeit mit mir selbst verbringen kann. Auf diese Weise gehe ich aus der Krankheit gestärkt hervor – dank der „Kraft der Wiederstandlosigkeit“ oder, wenn man es so ausdrücken will, der Kraft der Sanftheit. Weichheit ist demnach mächtiger als Härte, das Geschehene annehmen mächtiger als das Geschehene ablehnen.
In einer asiatischen Geschichte las ich ein Gleichnis, welches mir damals sehr half: Nehmen wir an, wir seien ein Baum, der einem starken Sturm Widerstand leistet. Früher oder später würden wir trotz starker Wurzeln einknicken und umfallen. Wären wir aber wie Gras, welches sich nicht gegen den Sturm stellt, würden wir vom starken Wind nicht bedroht. Wir würden den starken Wind hinnehmen und im wahrsten Sinne des Wortes gelassen bleiben. Je flexibler wir sind, umso mehr wir den Sturm des Lebens annehmen, so wie das Gras es tut, desto weniger kann er uns was antun. Sträuben wir uns aber gegen ihn und wollen unsere Kraft beweisen, werden wir früher oder später weggeweht. Lao-tse teilt uns dasselbe mit, indem er sagt, dass eine Armee die Schlacht verlieren wird, wenn sie unnachgiebig ist. Und dass ein Baum gefällt wird, wenn er hart ist. Kaum nehmen wir das scheinbar Negative bzw. das Leben in seiner Gesamtheit widerstandslos an, ist der „Stachel des Negativen“ weg, alles wird erträglicher und wir sind nicht länger vom Fluss des Lebens getrennt. Annehmen bedeutet, mit dem Leben verbunden zu sein.
Herzlichst, Deine Dragica
PS: Weil dieses Thema nicht einfach in einem Artikel abgewickelt werden kann, habe ich diesen Blog-Beitrag aufgeteilt. Sei gespannt auf Teil 2. 🙂