„Richte nicht, auf dass Du nicht gerichtet wirst.“ (Bibelzitat)
Die meisten Menschen richten und urteilen immer wieder. Angefangen mit ihrem Körper, ihrer finanziellen Lage bis zu ihren früheren Beziehungen. Richten wir über etwas, zeigt uns das, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf etwas Disharmonisches fokussiert haben, was uns nicht behagt. Immer wenn wir jemanden verurteilen, erzeugen wir Wut in uns. Und was ist Wut? Nichts anderes als eine disharmonische Energieschwingung, die uns krank macht. Anders gesagt: Wenn wir verurteilen, bestrafen wir uns somit selbst.
Verurteilen geht auch einher mit Schuldgefühlen. Wären keine Schuldgefühle im Spiel, so würde man einfach den „Fehler“, um den es geht, berichtigen und damit wäre die Sache erledigt. Fühlen wir uns aber schuldig, dann verurteilen wir andere Leute bzw. uns und bleiben somit an dem Gefühl der Schuld kleben.
Woher kommt eigentlich das menschliche Bedürfnis, ständig zu kritisieren, zu bewerten, mit dem Finger auf andere zu zeigen? Warum verurteilen manche Menschen so gerne andere Menschen? Woher kommt dieser Drang, andere Leute schlecht zu machen? Sind das wirklich WIR? Die Antwort lautet: Es liegt am vom Ego geprägten, menschlichen Verstand, welcher dual arbeitet (aufgespalten in zwei Dualitäten, in die linke und in die rechte Gehirnhälfte). Er arbeitet polar, er vergleicht, kategorisiert, unterscheidet in gut und schlecht, in schwarz und weiß, in richtig und falsch.
Obgleich alles EINS ist, spaltet der Verstand alles in zwei Seiten auf. Das muss er tun, denn er geht durch seine verzerrte Sicht ja davon aus, dass tatsächlich alles voneinander getrennt ist. Beim Herz ist es nicht so, denn für das Herz gibt es keine Aufteilungen, sondern nur das wahre Sein. Das Herz teilt nicht, nein, es verbindet, es vereint, es führt zusammen und umarmt alle.
Krishnamurti spricht von ‚Choiceless Awareness‘ – urteilsfreier Bewusstheit. Das Gegenteil davon sind urteilen, bewerten, vergleichen, Konkurrenzdenken – all das bedeutet Kampf. Jedes UR-TEILEN teilt das Sein in gut und schlecht auf, doch die Quantenphysik und die Esoterik sagen uns beide, dass es nichts Getrenntes gibt. Das Sein ist eins. Deshalb Vorsicht vor dem Bewerten einzelner Lebenssituationen.
Die meisten Menschen erleben etwas und bewerten es als „gut“ oder „schlecht“. Doch auch hierbei übersehen die meisten, dass alles, was existiert, eine große Einheit darstellt. Eine derart komplexe Einheit, die wir aus unserer derzeitigen menschlichen Perspektive womöglich nicht überblicken können. JEDES Ereignis, jede Situation, jede Erfahrung ist immer ein Teil des großen Ganzen, welches sich unseren Blicken entzieht. Nichtsdestotrotz hat alles seinen Sinn, auch wenn wir ihn vielleicht gerade nicht erkennen können.
Eines Nachts befand sich eine Frau am Flughafen. Sie musste mehrere Stunden auf ihren Flug warten. Während sie wartete, kaufte sie sich ein Buch und eine Packung Kekse, um sich die Zeit zu vertreiben. Sie nahm auf einer Wartebank Platz und schlug ihr Buch auf. Sie war sehr vertieft in ihr Büchlein, als sie plötzlich einen jungen Mann bemerkte, der neben ihr saß und ohne jegliche Zurückhaltung seine Hände ausstreckte und nach der Packung Kekse griff, welche zwischen ihnen lag. Er begann einen Keks nach dem anderen zu essen. Da die Frau deshalb nicht viel Aufhebens machen wollte, entschied sie sich, den jungen Mann zu ignorieren.
Die Frau aß die Kekse und beobachtete die Uhr, während der junge und schamlose Keksdieb dabei war, die ganze Packung leer zu essen. Die Frau begann sich an diesem Punkt zu ärgern und dachte: „Wenn ich keine solch gut erzogene Person wäre, hätte ich diesem frechen Kerl schon längst ein blaues Auge verpasst.“ Jedes Mal, wenn sie einen Keks aß, nahm sich der Mann auch einen. Der Dialog zwischen ihren Augen setzte sich fort und als nur noch ein Keks übrig war, fragte sie sich, was der junge Mann wohl nun tun würde. Sanft und mit einem nervösen Lächeln nahm der Mann den letzten Keks und brach ihn entzwei. Er bot eine Hälfte der Frau an, während er die andere Hälfte selbst aß. Rasch nahm sie den Keks und dachte: „Was für ein unverschämter Mann! Wie unerzogen! Er hat mir nicht einmal gedankt!“ Sie hatte noch nie jemanden getroffen, der so unverschämt war. Erleichtert aufatmend hörte sie, wie ihr Flug angekündigt wurde. Sie ergriff schnell ihre Taschen und ging – ohne nach hinten zu blicken, wo der unverschämte Keksdieb saß.
Nach dem Einstieg in das Flugzeug, und nachdem sie sich gesetzt hatte, suchte sie nach ihrem Buch, welches bald ausgelesen war. Während sie in ihre Tasche blickte, fand sie, völlig überrascht, ihre Packung Kekse fast unberührt. „Augenblick Mal, wenn meine Kekse hier sind“, dachte sie, sich schrecklich mies fühlend, „waren die anderen Kekse von dem jungen Mann, und er hat versucht, sie mit mir zu teilen.“ Es war zu spät, um sich bei dem jungen Mann zu entschuldigen, sie begriff schmerzhaft, dass SIE diejenige war, die unverschämt, unerzogen und ein Dieb gewesen war, und nicht er. Wie oft im Leben war man sich einer Sache absolut sicher und gewiss, nur um später zu entdecken, dass das doch nicht so war? Wie oft hat mangelhaftes Vertrauen dazu verleitet, andere ungerecht nach unseren Maßstäben zu verurteilen, mit den subjektiven Vorstellungen, die man sich einbildete, die aber oft weit weg von der Wirklichkeit und Wahrheit lagen?
Verurteilen wir unsere Vergangenheit und den Ex-Partner nicht. Wenn wir jemanden verurteilen, dann ist keine Verständigung mehr möglich. Das hat übrigens nichts mit kritikloser Akzeptanz zu tun, wenn man selbst oder jemand anders einen Fehler gemacht hat. Aber Fehler machen ist ganz natürlich, es gehört zur menschlichen Natur des Lernens. Deshalb sollten wir Fehlern gelassen und entspannt gegenüber treten. Keine Selbstverurteilung macht Fehler rückgängig. Und irgendwie, da bin ich mir absolut sicher, hat alles seinen Sinn. Durch unsere Vergangenheit, ganz egal wie „fehlerbehaftet“ sie war, sind wir innerlich gewachsen.
Man sollte auch nie vergessen, dass, wenn man mit dem Finger auf einen anderen Menschen zeigt, immer drei Finger seiner eigenen Hand auf einen selbst zeigen! Jedes Urteil ist zugleich ein Selbsturteil, insbesondere wenn man davon ausgeht, dass sowieso alles eins ist. Wenn wir schon beurteilen, dann beurteilen wir nicht den Menschen, sondern nur seine Tat, seine Handlung. Aber ohne diese Handlung auf den Menschen zu übertragen. Denn kein Mensch ist absolut negativ oder absolut positiv, sondern hat viele verschiedene Wesensmerkmale, die auch von den Lebensumständen abhängen. Das Einzige, was absolut ist, ist vielmehr das Urteil über Menschen, aber nicht der Mensch selbst – denn jeder Mensch ist eine Kombination aus unendlich vielen Eigenschaften.
Ich versuche mich immer wieder daran zu erinnern, meine Gedanken und Worte zu prüfen, indem ich mir die Frage stelle: „Wie viel Bewertung ist in dem, was ich denke und sage?“ Wenn Gedanken der Verurteilung in mir auf auftauchen, dann verurteile ich mich nicht, weil sie da sind, sondern beobachte sie wertfrei. Ich kritisiere mich nicht, ich rechtfertige mich nicht, sondern bleibe einfach distanziert in meiner neutralen Beobachterrolle und lasse sie vorüberziehen – bis sie weg sind, bis ich wieder glücklich bin. Wahres Glück erfordert Urteilsfreiheit. Wir sollten weniger das, was uns missfällt, verurteilen und uns dafür mehr auf das fokussieren, was uns gefällt.
Also: Raus aus den Schuldzuweisungen, Schluss mit den vergiftenden Gedanken, weg mit der inneren Urteils-Skala. Überprüfen wir unsere Gedanken und Gefühle, die unser Leiden erschaffen und hinterfragen sie.
Alles Liebe,
Deine Dragica